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Die Austrittswelle rollt - Norwin Hilker
Das Ende einer Beziehung - mein Austritt aus der GRÜNEN Partei.
In den letzten Wochen habe ich mich intensiv in die Diskussionen
innerhalb der GRÜNEN Partei zum Thema "Krieg" eingebracht. Dabei
ist mir klar geworden, dass eine Partei nicht mehr meine politische
Heimat sein kann, die den Einsatz von Waffen in einem menschenverachtenden
Krieg befürwortet. Ich habe viele Briefe geschrieben, viele Gespräche
geführt, sehe aber nun nach dem Bundesparteitag in Rostock für mich
keine andere Möglichkeit mehr als den Austritt aus dieser mir fremd
gewordenen Partei.
Dieser Schritt fällt mir schwer, ich habe ihn mir nicht leicht
gemacht und möchte deshalb versuchen, ihn meiner Partei, meinen
Freundinnen und Freunden mit dieser persönlichen Erklärung verständlich
zu machen.
Ich kam, wie viele andere mit mir, aus der Friedensbewegung zu
den GRÜNEN.
Wir wollten damals dafür sorgen, dass Konflikte gewaltfrei gelöst
werden, wir sind gegen Aufrüstung, Raketen und Rüstungsexporte auf
die Straßen gegangen. Wir haben zu Recht die markt- und machtorientierte
aggressive USA-Politik in vielen Ländern kritisiert - wir wollten
weltweit "Frieden schaffen ohne Waffen"! Ich habe durch mehrere
Verfahren hindurch aus Überzeugung den Kriegsdienst abgelehnt und
war stolz darauf, als Kriegsdienstverweigerer anerkannt der kriegerischen
Nazi-Generation meines Vaters ganz andere, friedliche, menschliche
Ideale entgegensetzen zu können.
Mit meinem Plakat "Waffen gegen den Krieg ist wie Schnaps gegen
Alkoholismus!" war ich auf vielen Ostermärschen und oft anti-amerikanisch
geprägten Antikriegsdemonstrationen.
Kriege und Waffen waren für uns friedensbewegte Ostermarschierer,
Mutlangen-Blockierer und GRÜNE niemals ein akzeptables Mittel, gerade
weil stets mehr Unschuldige als Schuldige darunter zu leiden haben!
Wir waren stolz auf unseren Pazifismus, wir wollten Deutschland
aus der NATO und aus der unerbittlichen Gewaltspirale der Rüstung
der Machtblöcke führen. Wir haben Konzepte entwickelt für eine friedliche
Weltordnung, zivile Offensiven für Bildung und Erziehung zu Gewaltfreiheit
und Toleranz gefordert, demokratische Oppositionen gegen Gewaltregime
unterstützt, uns für rechtsstaatlich kontrollierte Polizeigewalt
und internationale Gerichte gegen Terror und Gewalt eingesetzt.
Ich kam auch zu den GRÜNEN aus der Anti-AKW-Bewegung, habe meine
ersten Diskussionen im Wyhler Protestdorf mit den Bauern und Bewohnern
der Umgebung geführt.
Und ich habe dieser ökologischen Bewegung, diesem GRÜNEN Projekt
über viele Jahre hinweg meine ganze Kraft gewidmet, habe in zahlreichen
Bürgerinitiativen mitgearbeitet, habe GRÜNE OV's und KV's mit aufgebaut
und unterstützt, habe auch als Gemeinderat und Kreisrat harte, ausdauernde
GRÜNE Basisarbeit geleistet und mich zusätzlich immer wieder auf
Landes- und Bundesebene für unsere gemeinsame GRÜNE Sache eingesetzt.
Jetzt wird von oben herab diese Partei gezwungen, eine tragende
Säule von uns GRÜNEN, die Friedensbewegung, eine starke Bewegung
gegen jeden Krieg, gegen Waffen, gegen die inhumane Grausamkeit
von Bomben und jede Form militärischer Gewalt, unseren wohlbegründeten
Pazifismus einfach aufzugeben. "Macht ist doch geiler als Moral!"
So betitelt es ein Journalist - und er hat leider recht!
Die GRÜNEN geben immer mehr ihre Ideale und fundamentalen Grundsätze
auf, um ein wenig Anteil an der Macht zu haben, zu behalten. Dabei
aber verliert diese Partei immer mehr ihre eigentliche "Macht",
ihre eigene Stärke: Neue Gedanken in die Diskussion zu bringen,
Probleme aufzugreifen, die andere vernachlässigen, anders zu denken,
andere Lösungen zu suchen als die Mächtigen, die oft nur die einfachste,
schnellste, profitabelste - aber nicht die beste Lösung für Probleme
und Konflikte wählen.
Wir haben die Ökologie zum gesellschaftlichen Thema gemacht, wir
haben eine neue Ausländerpolitik ebenso geprägt wie den veränderten
Umgang mit Minderheiten, wir haben soziale Schwerpunkte geschaffen,
wo vorher zu wenig getan wurde. Krieg war all die Jahre für uns
nie ein sinnvolles Lösungsmittel bei Konflikten - jetzt wird das
Denken der Partei von unseren eigenen Leuten an der Spitze mit massivem
Druck verändert.
Das kann so nicht mehr meine Partei sein!
Der Krieg wird als "zielgerichteter Kampf gegen Terroristen" getarnt,
aber auch dieser Krieg ist selbst schlimmster Terror gegen Menschen!
Mit der nun auch von den GRÜNEN getragenen "uneingeschränkten" Solidarität
mit den USA geben wir diesem "staatlichen Terror" freie Hand. Nein,
das kann so nicht mehr meine Partei sein!
Ich war noch nie ein "hilfloser Pazifist", sondern wie immer schon
ein überzeugter, politisch engagiert handelnder Pazifist mit konkreten
zivilen Gegenkonzepten gegen militärische Gewalt. Auch die Partei
der GRÜNEN hat dies immer so gesehen. Wenn sich dies nun in so totaler
Umkehr verändert, dann kann dies nicht mehr meine Partei sein!
Es tut weh, es schmerzt, wie dies bei einem Abschied, beim Ende
einer Beziehung immer der Fall ist. Ich bin sehr traurig, dass meine
Partei mich vor diese Entscheidung gestellt und zu dieser Entscheidung
gezwungen hat. Aber ich kann die Politik dieser GRÜNEN Partei insgesamt
nicht mehr mittragen, wenn sie Krieg als einsetzbares Mittel absegnet,
das geht zu sehr gegen mein Gewissen und gegen meine Überzeugung.
Ich werde sicher weiterhin ein politisch denkender und handelnder
Mensch bleiben, werde mich ökologisch, sozial und friedensorientiert
in gesellschaftliche Prozesse einbringen, wo es mir geboten erscheint
- aber nicht mehr in einer Partei.
Aus den oben dargelegten Gründen trete ich also hiermit aus der
Partei BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN mit heutigem Datum (25.11.01) aus
und gebe dies mit dieser offenen persönlichen Erklärung bekannt.
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