Die Austrittswelle rollt - Karl-Wilhelm Koch

Ich erkläre hiermit meinen Austritt aus der Partei Bündnis 90 / Die Grünen und den Rücktritt von allen Ämtern mit sofortiger Wirkung: Keine Unterstützung für einen falschen, unverantwortbaren und menschenverachtenden Krieg!

Wir "Linken" bei den Grünen wurden zum Alibi, zum wärmenden Mäntelchen der Durchzocker, dringend gebraucht, um die nötigen Prozentpunkte bei "grünen" WählerInnen zumindest zum Teil zu retten. Wieder werden wie nach "Kosovo" und dem "Atomkonsens" MitstreiterInnen diese Partei, die mal die meine war, verlassen. Der Austausch wird fortgeführt, "linke" Positionen - nach meiner Definition - grüne Positionen werden noch weniger als zuletzt durchsetzbar sein, von Feigenblattbeschlüssen zur WählerInnentäuschung abgesehen. Die "Freiheit für die Legehennen" wird als Erfolg bejubelt, die Freiheit für die Menschen gleichzeitig geopfert.

Seit Rostock sind die Grünen endgültig eine andere Partei. Die sog. Realos, die Realität doch völlig verkennend, haben ihre ÖKO-FDP - beliebig, austauschbar, verbiegbar in jede Richtung. Die Grünen sind angeblich in der Wirklichkeit angekommen, doch in dieser Wirklichkeit ist kein Platz für sie. Austauschbare Positionen, Mangel an Glaubwürdigkeit und Machterhalt-um-der-Macht-willen bieten auch die anderen, dafür werden die Grünen nicht mehr gebraucht.

Müde des Kampfes gegen Windmühlen in der gewendeten Bundespartei, hat mein Austritt einen weiteren, für mich persönlich entscheidenden Grund. Als aktives Mitglied dieser Partei sehe ich mich - wenn auch nur als kleinste Rädchen im Getriebe - als Verantwortlicher für die Politik dieser Partei. Diese hat, nun zum zweiten Mal nach Kosovo und nun nicht mehr mit "Verteidigung der Menschenrechte" erklärbar und entschuldigbar, einen Krieg zu verantworten:

  • einen Krieg mit Tausenden von unschuldigen Toten;

  • einen Krieg, dessen Gründe erkennbar andere als die genannten sind;

  • einen Krieg, dessen Gewinner nur die Terroristen und ihre Hintermänner oder aber die Rüstungsindustriellen, Lobbyisten und ihre politischen Marionetten sein können, aber nie die Angehörigen der Opfer des 11. September oder die Frauen in Afghanistan;

  • einen Krieg, der die vorgegebenen Probleme nicht lösen wird, weil er sie nicht lösen kann;

  • einen Krieg, der mit jedem Tag zunehmend die Gefahr einer Eskalation bis hin zum Weltenbrand steigert.

Ich kann und werde diese Verantwortung nicht ein zweites Mal übernehmen. Beim Kosovokrieg hörte ich wochenlang die Bomber über die Eifel nach Süden fliegen und war gedanklich bei den Menschen, als die Flugzeuge ihre Bomben abwarfen - auf Kasernen, Panzer und Flughäfen, aber auch auf Wohnhäuser, Züge und Chemiefabriken. Ich konnte es nicht verhindern, aber hätte es schon damals nicht mittragen dürfen. Wir wurden belogen und betrogen, aber wollten wir das nicht? Milosevic sitzt (zu Recht) in Den Haag und wartet auf seinen Prozess. Aber wo sitzen die Generäle und Politiker, welche die Angriffe auf die in Betrieb stehende Chemiefabrik bei Belgrad - ein eindeutiger Verstoß gegen sämtliche Konventionen - zu verantworten haben?

Mit dem Stillschweigen der Parteimitglieder wurde die Partei gestützt, die dies alles mitverantwortete.

Mit dem Stillschweigen der Bürger wurde die Politik gestützt, die dies verantwortete. Ich werde diese Partei kein zweites Mal unterstützen an dieser Stelle, ich werde die Politik kein zweites Mal mittragen! Ich werde dieses mal nicht schweigen! Dies zumindest bin ich den Opfern schuldig.



04.12.2001


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