Die Austrittswelle rollt - Ayse Öktem, Jörn Sudhoff

Liebe Freundinnen, liebe Freunde, wir gehen und einige werden glücklich, andere vielleicht deprimiert, sagen: „Die also auch.“ Die Landesarbeitsgemeinschaft Migrations- und Flüchtlingspolitik der GAL Hamburg hatte seit dem Beginn der Regierungsbeteiligungen ständig einen Verlust an Mitgliedern zu verzeichnen. U.a. ist im Dezember 2002 ein weiteres LAG-Mitglied und früheres Mitglied des Landesvorstandes aus der Partei ausgetreten. Und nun wir:


Nachdem wir im Dezember als SprecherInnen der LAG zurückgetreten waren, haben wir den Austritt in der letzten Woche vollzogen. Diese Entscheidung hatte ihren Grund nicht in einer inhaltlichen oder personellen Frage, sondern sie war das Ergebnis einer Akkumulation einer Vielzahl von Negativa. Die Verwechslung von Koalitionskompromissen mit eigenen Positionen und die mehr oder weniger schleichende Um- und Abwertung grüner Gedanken haben uns nun aus unserer Partei vertrieben. Benennen möchten wir hier nur eine kleine Auswahl:

  • Mit ihren Strukturentscheidungen (Abschaffung der Trennung von Amt und Mandat und des SprecherInnenduos) hat die GAL Hamburg sich als Speerspitze gegen wohl begründete Strukturen - die auch außerhalb der Partei Vorbildcharakter hatten - positioniert.

  • Wir halten es für ein Beispiel von nicht vorhandenem politischem Anstand, dass nach der verheerenden Wahlniederlage die massiv plakatierte Spitzenkandidatin nun auch die Fraktionsvorsitzende ist.

  • Das mehr oder weniger beifällige Durchwinken der Hamburger Olympiabewerbung ohne eine Diskussion in der Mitgliedschaft stellt eine Umkehrung grüner Vorstellungen dar. Kommerzialisierte Hyperveranstaltungen in einer Stadt der Stadien und Arenen halten wir nicht für ein grünes Ziel.

  • Die innergrüne Diskussion in Hamburg ist tot. Die Mehrheit unseres Kreisverbandes (Hamburg-Altona) verfuhr nach dem Motto „Hier wird nicht diskutiert, hier wird gewählt!“. Vor Bundesdelegiertenversammlungen fanden keine Mitgliederversammlungen statt, inhaltlicher Streit war/ist unbekannt.

  • Auf Bundesebene dokumentiert ein Ganter im grauen Anzug als Spitzenkandidat, dass Normalisierung ein anderes Wort für Rückschritt und Langeweile ist. Eigene Positionen gehen dabei unter: Menschenrechtsorganisationen und die FDP kritisieren die Unterbringung der Gefangenen auf Guantanamo, die Grünen stellen einen Spitzenkandidaten vor.

  • In seiner Ablehnung linker Bezüge geht der Bundesvorstand so weit, dass er das Leben von Stefan Heym anlässlich seines Todes als puren Kampf gegen das DDR-Regime interpretiert und unfähig ist, eine linke Biographie des Widerstandes und des Widersprechens in ihrer Gesamtheit hinzunehmen.

  • - In Berlin steht nun auf Listenplatz 2 jemand, der als wirtschaftpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Wachstum feiert, Gewerkschaften zur Mäßigung aufruft und dem in Richtung PDS nur Gebell einfällt.

An vielen Stellen gibt es also aus unserer Sicht im besten Fall inhaltliche Leere, strukturellen Rückschritt und personelle Verengung. Grüne Offenheit, Bereitschaft gegen (angeblichen) Mehrheitswillen zu stehen und Werben für eigenständige Gedanken sind weitestgehend verloren gegangen. Die Luft, die Perspektive und die Motivation für eine weitere sinnvolle und inhaltlich bestimmte Arbeit in der Partei Bündnis 90/Die Grünen sehen wir nicht mehr. Wir werden weiter in politischen Prozessen dieser Stadt präsent sein; es wird wahrscheinlich hin und wieder Berührungspunkte geben. Wir wünschen euch und uns alles Gute!

Hamburg, 26.1.2002



26.02.2002


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