Die Austrittswelle rollt - Markus Sippl

Austritt aus Bündnis 90/Die Grünen

Nach über 8 Jahren Mitgliedschaft bei den Münchner Grünen erkläre ich heute meinen Austritt. Dieser Schritt ist direkte Folge des Parteitags-Beschlusses vom vergangenen Wochenende für die Billigung des Kriegs gegen Afghanistan und die Entsendung von deutschen Soldaten. Mein Austritt ist aber durchaus auch Reaktion auf meine immer größere allgemeine Enttäuschung über die Politik der Bundesregierung, auf die ich anfangs - gerade im Wahlkampf - große Hoffnungen gesetzt hatte. Besonderes Versagen sehe ich dabei in folgenden Bereichen:

  • Ökologie und Verkehr: lasche Ökosteuer, keine Flugbenzinbesteuerung, kein effizienter Sommerozon-Schutz, kein Tempolimit auf Autobahnen, (späte) LKW-Maut ohne große Lenkungswirkung, kaum Umschichtung der Investitionen von der Straße auf die Schiene, kein Verzicht auf Donauausbau, Transrapid und ICE-Strecke durch den Thüringer Wald

  • Atompolitik: Auslaufen der AKWs, bis sie für die Betreiber unwirtschaftlich sind, mit Zusage des „ungestörten Betriebs"; WAA ohne Ende; FRM II kommt

  • Sozialpolitik: keine Verringerung der Kluft zwischen Arm und Reich, keine angemessene Besteuerung der Reichen, keine Grundsicherung, Infragestellung des Flächentarifvertrags, Privatisierung der Sozialsysteme, v. a. keine Einbeziehung der Arbeitgeber in die Finanzierung der Zusatzrente

  • Drogenpolitik: keine Entkriminalisierung von Cannabis-Konsum, sondern Verschärfung der Verfolgung (Führerscheinentzug)

  • Außenpolitik: unverhohlene Enttabuisierung des Militärischen; erste offensive und nicht-humanitäre Einsätze der Bundeswehr in der Nachkriegszeit, beim Kosovo-Einsatz mit Lügen rechtfertigt; Billigung der neuen NATO-Doktrin, gemäß derer diese auch zur Sicherung von Ressourcen und ohne völkerrechtliche Legitimation Kriege führen wird; kaum gebremste Waffenexporte; Hermes-Bürgschaften u. a. für Riesenstaudämme

Auch einige Vorgänge innerhalb der Partei haben mich zutiefst befremdet: So nehmen die Grünen neuerdings Geld von der Wirtschaft (konkretes Beispiel: DM 30.000 für den Landesverband von der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie, d.h. u. a. von Siemens und der Waffenindustrie); Gunda Röstel, die als Parteivorsitzende den zahnlosen Atomkonsens mit ausgehandelt hat, verdient inzwischen beim Atomkonzern e-on ihr Geld mit der Privatisierung der Wasserversorgung und sitzt darüber hinaus weiter im Parteirat der Bundespartei; Parteivorstände benutzen regelmäßig das Flugzeug. Außerdem wurden in München erste Attacken auf die Frauenquote gestartet (Streit um Platz 1 der Stadtratswahlliste). Grüne MandatsträgerInnen in Landtag und Stadtrat steuern auf 13 bzw. 18 Jahre ununterbrochene Tätigkeit zu.

Konkreter Anlass meines Austritts war, wie gesagt, die Position von Partei- und RegierungsvertreterInnen zu Afghanistan. Es ist unerhört, dass die Parteioberen die Kriegsführung der USA, die wochenlang unzählige Menschenleben gefordert hat und bei der auch geächtete Waffen wie Streubomben zum Einsatz kamen, nicht oder kaum kritisiert haben und noch lange mit dem Beschluss des Berliner Länderrats für vereinbar hielten. Dass einen Partei, auf deren kritische Stimme immer noch ein großer Teil der Bevölkerung hört / gehört hat, mundtot gemacht wird, ist besonders empörend. Ein Skandal war es dann, dass die Fraktion der Entsendung von deutschen Truppen mehrheitlich zugestimmt hat. Diese sind also jetzt wieder regelmäßig in aller Welt im Einsatz. Dass der Parteitag diese Entscheidung nicht mehr in Frage stellen würde, war zu vermuten. Aber damit wurde doch mein Austritt besiegelt. Besonders verwundert mich, dass die geostrategischen Interessen der USA in dieser Region nicht thematisiert werden. Die Amerikaner nutzen m. E. die „uneingeschränkte Solidarität" der Verbündeten, um hier eine stabile, gefügige Regierung zu installieren, die u. a. Verlegung und Betrieb einer Ölpipeline durch das Land ermöglicht.

Ich wünsche der Partei viel Glück und bei den bayerischen Kommunalwahlen viel Erfolg. Meine Position als Kandidat der Münchner Stadtratswahlliste auf Platz 16 verbindet mich mit dem Kreisverband ohnehin noch bis kommenden März.

Ich werde auch darüber hinaus das Schicksal der Partei im Auge behalten und schließe bei eventueller inhaltlicher Erneuerung der Partei in der weiteren Zukunft einen Wiedereintritt nicht kategorisch aus. Übrigens bleibe ich weiterhin Mitglied der Grünen Jugend, die zu diesem Krieg auf allen Ebenen eine Beschlusslage hat, die der meiner Position weitestgehend entspricht.

Markus Sippl, 27 Jahre, Student LAG
mehrmals Vorstandsmitglied KV München Ost
1998: Direktkandidat Mü-Bogenhausen bei der Landtagswahl
2000: Vorstandssprecher der Grünen Jugend München
2001: Koordinator des AK Jugendkultur der GJM
Platz 16 der Liste zur kommenden Stadtratswahl

München, den 26.11.01



28.11.2001


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