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Neugrüne Normalität
Der grüne Bundesparteitag in Rostock (24./25. November 2001) werde
nachträglich die Fakten billigen, die die Koalition geschaffen
hat. Das sagte Daniel Kreutz in einem Artikel für die "SoZ"
voraus. Kreutz war von 1990 bis 2000 Sprecher der grünen NRW-Landtagsfraktion
für Arbeit, Gesundheit und Soziales; seither ist er parteilos.
Im Gegensatz zu manch medialer Aufgeregtheit der letzen Wochen
bot die Performance der Grünen zur deutschen Beteiligung am Krieg
"gegen den internationalen Terrorismus" keinerlei Überraschungen.
Dies gilt auch für die Vertrauensfrage des Kriegskanzlers. Hinreichende
Zustimmung seitens der 47 grünen Abgeordneten war ihr sicher, seit
sie im Raume stand. Einzig von der klarsichtigen Annelie Buntenbach
ist bislang bekannt, dass ihre politische Einschätzung des "rot-grünen
Projekts" es rechtfertigen könnte, der Regierung der Neuen Mitte
das Vertrauen zu entziehen . Der grüne Bundesparteitag wird die
planmäßige nachträgliche Billigung der von der Koalition geschaffenen
Fakten besorgen. Dass es im Vorfeld der Entscheidung über den deutschen
Kriegseintritt überhaupt heftige Auseinandersetzungen in den Grünen
gab, dass sich gar eine Mehrheit der Landesverbände gegen den Kurs
ihres Außenministers stellten, solange dies die Koalition nicht
ernsthaft zu gefährden schien, ist weniger auf die Prinzipienfestigkeit
der ParteiakteurInnen zurückzuführen als auf den Druck der deutschen
und europäischen Antikriegsbewegung.
Neue Mitte aus Überzeugung
Die politische Klasse der Neuen Grünen kennt keinen höheren Wert
mehr als den Verbleib in der Koalition. Teils nimmt sie den Kurs
der Regierung auf die Vollendung des neoliberal ausgerichteten Systemwechsels
vom Sozialstaat des ‚rheinischen Kapitalismus' zum "Wettbewerbsstaat",
zum "aktivierenden Sozialstaat" und zum "Sicherheitsstaat" mit militärischer
Außenpolitik als akzeptablen Preis für "Erfolge" hin, die sich im
Etikett erschöpfen (Atom"ausstieg", "Öko"-Steuer); teils sieht sie
ihre Rolle gerade darin, ihn gegen sozialdemokratische "Traditionalisten"
zu forcieren (Steuer-, Renten- oder Arbeitsmarktreform). Mit dem
offenen Bekenntnis zu einer führenden Rolle Deutschlands und der
EU in der von militärischer und ökonomischer Macht gleichermaßen
definierten Neuen Weltordnung tut sie sich - noch - schwerer. Nur
eine Minderheit von Fischer-Adepten ist bisher bereit, das "Gewissen"
nicht gegen, sondern ausdrücklich für den Krieg zu reklamieren.
Hier hat der alte Egon Bahr (SPD) recht, der am Vorabend der Bundestagsentscheidung
auf Phönix feststellte, die Grünen hätten "einen langen Weg zurückgelegt",
aber dieser Krieg sei für sie dennoch "zu früh gekommen". Außen-
und militärpolitisch haben die grünen professionals noch etwas vor
sich, um auf Fischer-Niveau anzukommen.
Imperialistische Interessenpolitik
Für die Denke der "Fischer-Gang" recht aufschlussreich ist ein
FAZ-Artikel des grünen Leiters des Planungsstabes des Auswärtigen
Amtes und langjährigen Fischer-Vertrauten Achim Schmillen, der bereits
lange vor dem 11. September - zeitgleich zu der Zentralasienreise
seines Chefs im Mai - erschien. Darin plädiert der Autor für ein
Engagement Europas in Zentralasien einschließlich Afghanistan "aus
ökonomischen und sicherheitspolitischen Interessen". Als "klassische
Pufferzone" trenne das "ressourcenreiche" Zentralasien Europa (!)
vom indischen Subkontinent, von China und Ostasien. "Der EU ist
daran gelegen, die Energieimporte durch die Erschließung der Erdöl-
und Erdgasreserven in der zentralasiatischen und kaspischen Region
zu diversifizieren." Die Erschließung der Öl- und Gasvorkommen für
den "europäischen Markt" sei jedoch wegen der destabilisierenden
Wirkungen des radikalislamischen Taliban-Regimes auf die umliegenden,
ohnehin instabilen Staaten gefährdet, zumal "russische Fachleute"
davon ausgingen, "dass sich die Taliban noch im Laufe des Jahres
2001 gegen die Nordallianz durchsetzen". Sich offen zu einer derart
ökonomisch und geostrategisch motivierten Interessenpolitik Deutschlands
und der EU in Zentralasien zu bekennen, ist noch nicht Sache der
grünen Führung. Selbst die Antikriegserklärung der zunächst acht
AbweichlerInnen in der grünen Fraktion erwähnt die wirtschaftlichen
und geostrategischen Interessen des Westens mit keiner Silbe - obwohl
manche Analysten des "Kriegs gegen den Terror" längst darauf hingewiesen
hatten und obwohl die Erklärung dadurch die Frage offen ließ, warum
der Westen seine milliardenteure Kriegsmaschine auf Afghanistan
wirft. Aber der eigenen Regierung und dem eigenen Außenminister
solch interessenpolitische Motive zu unterstellen, war dem Konsens
unter den Acht wohl nicht zuträglich.
Mit "politischem Pazifismus" in der Nachfolge Kohls
Um "die Partei mitnehmen" zu können, bedarf es der Inszenierung
eines Kampfes um hohe ethische statt schnöde materielle Werte. Dies
war schon das Erfolgsrezept der Neuen Grünen im Streit um den Kosovo-Krieg,
wo sie wider alle Vernunft einen Grundsatzkonflikt zwischen "Menschenrechten"
und "Antifaschismus" gegen den Frieden konstruierten. Auf diese
Weise lässt sich den regierungskonformen Mehrheiten das Gefühl vermitteln,
trotz alledem "für das Gute" einzustehen. Dem dient auch die Kreation
des "politischen Pazifismus", jener neugrünen Wortschöpfung, die
Krieg als Mittel der Politik legitimiert, solange eine "strategische
Gesamtkonzeption" die Verfolgung "guter" Ziele suggeriert. Helmut
Kohls gegen die Friedensbewegung gerichtetes Motto "Frieden schaffen
mit immer weniger Waffen" meinte in etwa das Gleiche. Wenn Reaktorminister
Trittin Recht behält, wird die Haltung zum Krieg als Hauptfrage
des Parteitags verdrängt durch den Aufruf zur "Verteidigung von
Rot-Grün" gegen die rechte Opposition im kommenden Wahljahr - so
seine Ankündigung bei "Christiansen". Ob auch der Versuch von NRW-Ministerin
Höhn Furore macht, das Taliban-Regime als "faschistisch" und den
Krieg als antifaschistische Befreiungstat zu charakterisieren, sei
dahingestellt. Sicher erscheint aber, dass neben der "Bekämpfung
des internationalen Terrorismus" die Befreiung der afghanischen
Frauen von ihrer barbarischen Unterdrückung durch die Taliban zur
Rechtfertigung des Krieges herangezogen wird. Hier behält Maria
Mies recht, die in der Rechtfertigung des Kosovo-Krieges das Muster
erkannte, dass in der neuen Weltordnung ausgerechnet Frauen verstärkt
zur Legitimation westlicher Kriege missbraucht werden, obwohl gerade
sie stets auch deren Opfer sind.
"Streitkultur" als mediale Inszenierung
Allerdings spielen Argumente in der grünen Willensbildung längst
keine wesentliche Rolle mehr. Schon vor 1998 ist es üblich geworden,
dass Parteitagskontroversen gleichsam als Vertrauensfrage der grünen
Führung entschieden wurden. Die Chancen von Parteitagsanträgen richten
sich nicht danach, worauf sie inhaltlich zielen; entscheidend ist
vielmehr die Frage, welche Personen dadurch "gestärkt" oder "geschwächt"
würden. Wann immer die große Mehrheit der grünen politischen Klasse
geschlossen für ihren Kurs steht, ist ihr der Erfolg gewiss. Denn
ihn abzulehnen, käme einem Misstrauensvotum gegen das eigene Führungspersonal
gleich; die Partei wäre gleichsam enthauptet. Eine alternative Führung
blieb stets außer Sicht, da sich die Parteilinke um so stärker "konsensorientiert"
zeigte, je unmissverständlicher die Rechte ihnen politisch den Stuhl
vor die Tür stellte. Wie hoch die Wogen auf dem Parteitag auch schlagen
mögen, es gibt keine Kraft, die als linke Opposition willens und
in der Lage wäre, dem neoliberalen und "nordatlantischen" Kurs ihrer
Führung umfassende politische und personelle Alternativen entgegen
zu setzen. Die strukturell marginalisierte grüne Restlinke, als
deren Galionsfigur Hans-Christian Ströbele gilt, will "loyale Opposition"
sein und fügt sich damit in die ihr zugewiesene Rolle einer Leimrute
der Neo-FDP im linken Milieu ("Es gibt ja auch noch solche"). Ohne
sie wäre es nicht mehr möglich, ab und zu noch den Anschein "grüner
Streitkultur" zu erzeugen. Ohne sie wären die Grünen die langweiligste
Partei Deutschlands.
Behauptung am Parteienmarkt bleibt möglich
Was bedeutet all das für die weiteren Aussichten des grünen Politikunternehmens?
Die Erosion auf der linken Seite von Mitglied- und Wählerschaft
wird einen neuen Schub erhalten, die Zahl der Aktiven weiter schrumpfen.
Prognosen über das bevorstehende parlamentarische Aus können dennoch
verfrüht sein. Dem ZDF-Politbarometer zu Folge sprachen sich zwar
58% der Grünen-Anhänger gegen den Krieg aus, doch 92% optierten
zugleich für den Verbleib in der Koalition. Dies deutet darauf hin,
dass es den Neuen Grünen durchaus gelingen kann, sich als "ökologisch
aufgeklärte" Variante des Neoliberalismus am Parteienmarkt zu behaupten.
In Zeiten generell rückläufiger Wahlbeteiligung kann man aus politikunternehmerischer
Sicht damit leben, ein Drittel oder auch die Hälfte der früheren
Wählerschaft zu verlieren, so lange mindestens fünf Prozent der
abgegebenen Stimmen erreichbar bleiben. "Totgesagte leben länger"
- dies bei der alten wirtschaftsliberalen Kleinpartei bewährte Motto
könnte ebenso für ihre neue Konkurrentin gelten. Doch wie dem auch
sei - parteiförmige Politik ist ohnehin als Mittel des Eintretens
für eine zukunftsfähige Alternative zum gesellschaftlichen Umbaukonzept
von Neuer Mitte und Neoliberalismus vorerst unbrauchbar geworden.
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