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Was Wickert in "Max" wirklich schrieb
"Tagesthemen"-Moderator Ulrich Wickert musste sich von seinem
Kommentar in der Illustrierten "Max" (Nr. 21 vom 4. Oktober 2001)
distanzieren, nachdem CDU-Chefin Angela Merkel seine Verbannung
vom Fernsehschirm gefordert hatte. Wir dokumentieren, was Wickert
geschrieben hatte:
Den Satz ,,Nichts wird mehr sein wie vorher" kann ich nicht mehr
hören. Und trotzdem können wir nur hoffen, dass nichts mehr sein
wird wie vorher. Was allerdings anders gemeint ist, als so mancher
denkt. Der aus Afghanistan stammende Schriftsteller Tamim Ansary
lebt in San Francisco und hörte nach dem 11. September im amerikanischen
Radio Kommentatoren, die fragten: "Werden wir genug Mumm haben
zu tun, was geboten ist?" Die meinten, man müsse ,,Afghanistan in
die Stein-zeit zurückbombardieren". Tamim Ansary ist ein Gegner
der Taliban und Osama bin Ladens und will beide bestraft sehen,
aber sie sind nicht Afghanistan.
Der Westen hat die tiefere Ursache für die Terroranschläge, die
von Intellektuellen und nicht von Unterprivilegierten begangen wurden,
anscheinend noch nicht verstanden. Sie waren wirklich, wie Gerhard
Schröder sagte, ein Angriff auf die "westliche Zivilisation", aber
sie zielten nicht auf die (ethischen) Werte des Westens, sondern
auf dessen Überheblichkeit und Materialismus. Als sei er von allen
guten Geistern verlassen, erklärte der italienische Ministerpräsident
Silvio Berlusconi - nachdem er Bundeskanzler Gerhard Schröder zwecks
Absprache im Kampf gegen den Terrorismus getroffen hatte: "Wir
sollten uns der Überlegenheit unserer Zivilisation bewusst sein,
die aus einem Wertesystem besteht, das den Respekt der Menschenrechte
und der Religion garantiert. Diesen Respekt gibt es in den moslemischen
Ländern sicherlich nicht."
Dieser - pardon! - Schwachsinn hat Methode. Denn Berlusconi hatte
schon in der Woche zuvor bei dem Sondergipfel der Europäischen Union
so gesprochen. Und da hätten ihm die Staats- und Regierungschefs
Europas die Hammelbeine lang ziehen müssen. Aber nein, entweder
denken sie genau so, oder geben sich zu vornehm.
Wenn aber die politischen Vertreter der westlichen Zivilisation
solche Aussagen hinnehmen, dann verstärken sie das Gefühl der Erniedrigung
in den islamischen Ländern und bestätigen, was Arundhati Roy, die
wichtigste Schriftstellerin Indiens, dieser Tage sagt: ,,Osama bin
Laden ist das amerikanische Familiengeheimnis, der dunkle Doppelgänger
des amerikanischen Präsidenten." Bush ist kein Mörder und Terrorist.
Aber die Denkstrukturen sind die gleichen.
Auch Bush und Berlusconi sind eins. Denn beide sind gleich intolerant.
Bush ruft zum Feldzug unter dem Motto "unendliche Gerechtigkeit"
auf, ohne daran zu denken, dass dies jeden Gläubigen zumindest im
Islam beleidigen muss: denn die "unendliche Gerechtigkeit" steht
nur Allah zu. Also wird das Motto geändert in "dauerhafte Freiheit".
Der Westen will seine Werte verteidigen, scheint sie aber immer
weniger selbst zu kennen.
Die Tugend der Toleranz bietet sich hier an. Hinter dem Begriff
Toleranz versteckt sich die intellektuelle und gesellschaftliche
Frage: Wie gehe ich mit der "Wahrheit" um. Die Frage "Wer besitzt
die Wahrheit" wurde ein philosophisches Problem mit der Expansion
der monotheistischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam.
Nachdem der von der Kirche Roms vertretene Glaube in Europa Staatsreligion
geworden war, führte die Intoleranz über Jahrhunderte hinweg zu
Kreuzzügen und Massenmorden, schrecklichster Folter und Verbrennungen
Andersgläubiger. Erst durch die Aufklärung wurde Toleranz als sittliche
Verhaltensregel zusammen mit der religiösen Neutralität des Staates
gefordert. Das Problem: In weiten Teilen des islamischen Raums ist
diese Trennung von Staat und Kirche, von Vernunft und Glauben nicht
vollzogen worden.
Toleranz verlangt, dass jeder bereit ist einzugestehen, dass seine
Wahrheit nur relativ ist. Tatsächlich hat sich fast jede Erkenntnis
- auch die der größten Wissenschaftler - als fehlbar erwiesen, und
sei es erst nach Hunderten von Jahren. Wer den anderen anerkennt,
muss zugestehen, dass in der eigenen Wahrheit genau so viele Fehler
enthalten sein können, wie er sie in der anderen vermutet. Toleranz
ist, nach Voltaire, die Einsicht, dass der Mensch fehlbar ist: ,,Irren
ist menschlich, und wir alle machen dauernd Fehler. So lasst uns
denn einander unsere Torheiten verzeihen. Das ist das Grundgesetz
des Naturrechts." Also bedeutet Toleranz: Lasst den Islam mohammedanisch
sein. Zwingt ihm nicht den westlichen Materialismus auf.
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